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Traumata und Entdeckungen

Seit mehr als hundert Jahren Kinematografie ist die Zahl der Frauen, die in der Filmindustrie tätig sind, deutlich niedriger als die der Männer. Dies gilt insbesondere für Regisseurinnen. Das ukrainische Kino ist dabei keine Ausnahme. Wenn man über Regisseurinnen spricht, sollte man jedoch nicht aus den Augen verlieren, dass sie sehr unterschiedlich sind und ihre Arbeitsweise nicht verallgemeinert werden kann. Daher scheint es angebracht, sich auf herausragende Persönlichkeiten zu konzentrieren, die einzigartig sind, aber gleichzeitig auch wichtig für die Gesamtentwicklung des Kinos.

Doch bevor wir über bestimmte Namen und Filme sprechen, ist es wichtig zu klären, seit wann man über das ukrainische Kino als Phänomen sprechen kann. Was den Zeitraum betrifft, so sollte man eine nicht nur für das ukrainische, sondern auch für das Weltkino so bedeutende Figur wie Kira Muratova würdigen, auch wenn wir dennoch hauptsächlich über das ukrainische Kino des letzten Jahrzehnts sprechen werden. Denn auch nach der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine können Filme von ukrainischen Regisseurinnen nur als vereinzelte Episoden betrachtet werden. Außerdem waren viele Vertreterinnen des Frauenkinos (wie Muratova selbst) in den gemeinsamen postsowjetischen Raum integriert.

Wir können den glänzenden Erfolg von Maryna Vroda mit ihrem Kurzfilm "Cross" („Кросс“) in Cannes im Jahr 2011 als Beginn einer neuen Seite in der Geschichte des ukrainischen Kinos erwähnen.

Wir werden jedoch hauptsächlich über das Kino sprechen, das sich nach 2014 aktiv zu entwickeln begann. Dafür gibt es zwei Gründe: die Einführung des Pitching-Systems im Jahr 2012 und der Euro-Maidan, der einen starken kreativen Impuls für seine Entwicklung gab.

"Ich habe den Eindruck, dass es in unserem Kino an Geschichten mangelte. Und als die Revolution ausbrach und der Krieg danach begannen, begannen sehr wichtige Dinge mit uns zu geschehen. Und die Geschichten passieren hier und jetzt. Und sie sind interessant und wahrhaftig. Es gibt Geschichten, die man nicht erfinden braucht, sie müssen nur aufgezeichnet werden. Aus diesem Grund habe ich auch angefangen, Dokumentarfilme zu machen", erzählt die Regisseurin Alina Gorlova.

"Im Allgemeinen ist alles, was uns seit dem Maidan widerfährt, ein endloser Prozess von Traumata und Entdeckungen zugleich. Die Tatsache, dass wir darüber reflektieren und versuchen, darüber zu sprechen, ist wichtig", fügt Iryna Tsilyk hinzu.

 

OLENA DEMYANENKO

Wir beginnen das Gespräch über das ukrainische Frauenkino mit Olena Demyanenko, deren zwei jüngere Filme die Trennlinie zwischen den Kinos des letzten Jahrzehnts markieren. Demyanenkos Film "Meine Großmutter Fanny Kaplan" („Моя бабуся Фанні Каплан“) ist ein gewisses Symbol für eine solche Grenzlinie: Die Dreharbeiten begannen 2013, sie sollten auf der Krim stattfinden, doch nach deren Annexion im Jahr 2014 musste die Crew neue Drehorte finden. Die Regisseurin selbst bezeichnete ihr Werk als "Akt der Dekommunisierung".

Bis 1993 war der Fall Kaplan als "streng geheim" eingestuft. Nach seiner Veröffentlichung stellte sich heraus, dass zehn Seiten aus dem Fall herausgerissen worden waren, über die die Regisseurin besonders nachdenkt. Der Film ist eine Reflexion, eine Spekulation, in der die Figur und das Leben von Fanny Kaplan nicht nur zum Mittelpunkt des Films werden, sondern auch zu einer gewissen Metapher, zur Verkörperung der tragischen, absurden und hässlichen Realitäten der Oktoberrevolution.

"Die Grenze zwischen der sowjetischen und der zivilisierten Welt liegt in der Haltung gegenüber dem Individuum. Der wichtigste Wert sollte schließlich das menschliche Leben sein", so die Regisseurin. Das Thema Terrorismus und Diktatur, das im Film auch durch seinen starken persönlichen und dramatischen Ton mitschwingt, hallt in der Gegenwart wider.

Demyanenkos nächstes Werk war der Film "Hutsulka Ksenya" („ГуцулкаКсеня“), basierend auf der legendären (und einst verbotenen) Operette von Yaroslav Barnych. Die Hutsulshchyna der 30er Jahre, natürlich in einer etwas konventionellen Operettenart, aber mit echten modernen Kurorten, Stränden, Turnhallen, einer modernen Eisenbahn und einem Zug nach Wien.

Die Brücke zu damals, von den 30er Jahren bis heute, schaffen die Lieder der Band Dakh Daughters. Sie sind Moderatoren, Vorboten, Überbringer, Molfare, Hexen, spielen die Rolle eines antiken (oder eher Opern-) Chores und sind verantwortlich für die Nervosität und die Unruhe im Film. Die Handlung von "Hutsulka Ksenya" spielt im Sommer 1939, der Abspann, der die nahe Zukunft der Region andeutet, hat die Wirkung eines eiskalten Wassergusses und ist eine gelungene Entscheidung, Barnychs Operette in einen historischen Kontext zu stellen und aus einer leichten Operettengeschichte einen Auftakt zu zukünftigen Tragödien zu machen.

 

MARINA STEPANSKA

Marina Stepanska wurde durch ihre Kurzfilme bekannt, die mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht wurden. Sie experimentiert leicht und ironisch mit der filmischen Form, insbesondere in Kurzfilmen wie "Desaturated" ("Знебарвлена") oder "Wir, Europa" ("Ми, Європа"). Ihr bisher einziger Spielfilm "Falling" ("Стрімголов") zeichnet sich durch die bemerkenswerte Aufmerksamkeit der Regisseurin für jedes Detail aus, die für ihren Perfektionismus bekannt ist. Der Kammerfilm ist mit einer Vielzahl solcher Details gefüllt, die zusätzliche Ebenen und Bedeutungen in der Liebesgeschichte schaffen, die sich hier und jetzt abspielt.

Der unbestreitbare Reiz des Films liegt im "Hier und Jetzt". Es handelt von dem, was in den Nachbarstraßen passiert, von dem, was die Gesellschaft im Jahr nach dem Maidan erlebt hat, als die Realität zerbrach. Und es passt perfekt in die heutige Zeit.

Eine Generation auf der Suche nach sich selbst scheint ihre eigene Regisseurin gefunden zu haben. Die Autorin spricht über Schmerzhaftes und Relevanz, über lebhafte Emotionen ohne Pathos und über die Angst, die nicht aufgesetzt wirkt. Der subtile, leise und sehr intime Film zeigt 27-jährige "Nicht-Helden" in Nahaufnahme, wie sie unter den Bedingungen der "Heldenzeit" versuchen, schwierige Entscheidungen zu treffen.

 

KATERYNA GORNOSTAI

Bevor sie Spielfilme in voller Länge gedreht hat, drehte Kateryna Gornostai mehrere erfolgreiche und prämierte Kurzfilme. Ihr Spielfilmdebüt "Stop-Zemlya" ("Стоп-Земля") war gewissermaßen die folgerichtige Fortsetzung ihrer Arbeit.

Im Film treten Laiendarsteller im Teenageralter auf, mit denen die Regisseurin, Autorin und Drehbuchautorin Kateryna Gornostai im Herbst 2019 im Schauspiel-Labor gearbeitet hatte. Die Weltpremiere des Films fand auf dem Berlin International Film Festival statt, wo er den Crystal Bear Award erhielt.

Der außerordentlich feinsinnige und fragile Film beschäftigt sich mit den Themen Erwachsenwerden, Beziehungen, Erfahrungen und Emotionen von Teenagern. Er ermöglicht erwachsenen Zuschauern einen Blick auf ihr jüngeres Selbst und Teenagern die Erkenntnis, dass sie nicht allein sind. Eltern können wiederum wichtige Erkenntnisse über ihre Kinder gewinnen.

Alles auf der Leinwand wirkt so einfach wie möglich, aber es gibt eine filmische Magie, die etwas sehr Persönliches berührt, eine zarte Berührung, die einen lange nach dem Betrachten nicht loslässt. Auf den ersten Blick wirkt der Film warm und entspannt, er erinnert eher an eine Dokumentation über normale Teenager aus Kyjiw in einer normalen Kyjiwer Schule. Aber wie schwierig ist es doch für die Protagonisten, in einer Realität zu existieren, in der alles in Ordnung ist und nichts passiert. Man sollte sich an sich selbst im Alter von 15-17 Jahren erinnern, als man mit den Herausforderungen des Erwachsenwerdens, den Problemen und Komplexen konfrontiert wurde, um die man nicht gebeten hatte. Die Abwesenheit von emotionalen Ausbrüchen und die bewusste Normalität der Umstände und Charaktere sind äußerst relevant, weil dieser Ansatz die Unerträglichkeit der vermeintlichen Leichtigkeit betont, die wir alle sicherlich erfahren haben. Und bei Weitem nicht jeder konnte das unbeschadet überstehen.

Der Verzicht auf eine überwältigende Handlung wird durch das Bestreben, die Aufmerksamkeit des Publikums durch schnelle Schnitte zu gewinnen, ausgeglichen. Was an Schauspielerfahrung fehlt, wird durch die absolute Natürlichkeit der Darsteller ausgeglichen.

 

ALINA GORLOVA

Zweifellos ist Alina Gorlova eine der bemerkenswertesten zeitgenössischen Dokumentarfilmerinnen mit einem sehr markanten Stil. Ihr Film "This Rain Will Never Stop" ("Цей дощ ніколи нескінчиться") hatte seine Premiere beim International Documentary Film Festival Amsterdam (IDFA), wo er den Preis "Bester Spielfilm" in der Kategorie "Erstlingsfilm" gewann.

Später erhielt der Film den Hauptpreis beim LPA International Film Festival, den Golden Lady Harimaguada Award für den besten Spielfilm.

Die Jury begründete die Auszeichnung damit, dass die Regisseurin in der Lage war, einen Film über den Krieg zu drehen.

"Für ihre Fähigkeit, einen Film über den Krieg zu drehen, ohne diesen selbst zu zeigen, sondern den Effekt, den er auf die Menschen hat, wiederzugeben, sowie für den Einsatz ihrer Fotografie, um die Komplexität der Realität aufzudecken", lautet der Kommentar der Jury zur Preisverleihung. Und diese Beschreibung spiegelt die Essenz von Alina Gorlovas Film genau wider. Auf subtile, feinsinnige und zugleich präzise und starke Weise erzählt die Regisseurin von der Welt des Friedens und des Krieges, einer universellen Welt, in der die Landschaften unterschiedlich sind, die Probleme jedoch ähnlich bleiben. Die Schwarz-Weiß-Reise zwischen Frieden und Krieg ist eine treffend erzählte Geschichte, eine subtile Beobachtung und gleichzeitig ein visuell vollendetes Kunstwerk. Die Familie des zwanzigjährigen Andriy Suleyman floh nach Ukraine, als das Leben in Syrien unmöglich wurde. Doch nach der Flucht vor einem Krieg fanden sie sich in einem anderen wieder – im Osten des Landes brach die russische Aggression aus. Andriy wird freiwilliger Mitarbeiter des Roten Kreuzes im Kriegsgebiet. Nach dem Tod seines Vaters fährt er jedoch nach Syrien, um ihn in seiner Heimat zu beerdigen. Von Konflikten in Syrien bis zum Krieg in der Ukraine scheint Andriys Existenz von einem ewigen Strom aus Leben und Tod umrahmt zu sein.

"Ich wusste, dass nicht jeder sofort verstehen würde, wo die Ereignisse stattfinden. Schließlich haben wir den Film nicht betitelt. Ich wollte den Kosmos dieses Films nicht beeinflussen, da jede zusätzliche Information ihn verändern könnte. Ich wollte eine einzige Welt erschaffen, in der erkannt wird, dass der Krieg jeden Ort auf der Welt erreichen kann", sagt die Filmemacherin.

Alina Gorlovas vorletzter Film "No Obvious Signs" ("Явних проявів немає") ist eine ebenso emotionale und präzise Erzählung über den "Krieg ohne Krieg". Es ist die Geschichte einer Majorin, die aus dem Kriegsgebiet zurückkehrt. Die Hauptprotagonistin des Films ist die 46-jährige Oksana Yakubova. Durch Gespräche mit Psychologen und den Kampf gegen PTSD (Post Traumatic Stress Disorder) und Panikattacken versucht sie, in ein normales Leben zurückzukehren. Das Filmteam begleitet die Hauptdarstellerin von ihrem Beginn der Rehabilitation bis zu ihrer Rückkehr in den Beruf.

"No Obvious Signs" perpetuiert und entwickelt das Thema der Sichtbarkeit (Unsichtbarkeit) von Frauen im Krieg. Der Film taucht so tief wie möglich in die Welt seiner Heldin ein und spricht sehr offen und emotional über die Rechte von Männern und Frauen in einer Zeit, in der Gleichheit keine Rolle spielte. Die private Geschichte wird universal. Das Thema der Verteidigerin des Mutterlandes wird von einer alternativen, nicht verherrlichenden Seite gezeigt.

Oksana Yakubova war bereits die Heldin eines anderen Dokumentarprojekts, das einen bemerkenswerten öffentlichen Widerhall, gefunden hat – „Invisible Battalion” („Невидимий батальйон”), bei dem Alina Gorlova Regie gemacht hat.

 

IRYNA TSILYK

Eine weitere Regisseurin, die an der Entstehung von "Invisible Battalion" beteiligt war, ist Iryna Tsilyk. Ihr Kino ist stets von Empathie geprägt. Es ist für Iryna unmöglich, in der Rolle einer unbeteiligten Beobachterin hinter der Kamera zu verbleiben.

"Es ist für mich unmöglich, die Empathie abzuschalten. Ich weiß nicht, wie ich das tun sollte. Die Hauptdarstellerin von 'Invisible Battalion', Andriana Susak, wurde zu einer Freundin von mir. Ich weiß einfach nicht, wie ich es anders machen könnte", sagt sie.

Dies zeigt sich auch in ihrem derzeit berühmtesten und meistausgezeichneten Film "The Earth Is Blue as an Orange" ("Земля блакитна, ніби апельсин"), der den Directing Award in der Kategorie "World Cinema Documentary" beim renommierten Sundance Film Festival (USA) erhalten hat.

Der Film handelt von einer Familie im Donbas während des Krieges. Anna zieht ihre vier Kinder alleine auf. Der Artilleriebeschuss in Krasnohorivka scheint nie aufzuhören, aber die Familie findet Wege, Freude am Leben zu haben. Mutter und Kinder drehen einen Film über ihr Leben während des Krieges.

Dieser Prozess wirft die Frage auf, welche Macht die Kunst in schwierigen Zeiten hat und wie man über den Krieg sprechen kann.

Es ist ein Film über den Krieg und zugleich ein Film über das Kino selbst, eine äußerst einfühlsame Darstellung von Menschen, die in Kriegszeiten überleben müssen.

Das Thema des Krieges, wenn auch weniger direkt, kommt auch in Tsilyks erstem Spielfilm zum Ausdruck: "Feliks and Me" ("Я і Фелікс"; international vertrieben als "Rock. Paper. Grenade"). Der Protagonist wächst neben einer vom Krieg traumatisierten Person auf, die unter PTBS leidet. Obwohl er seit seiner Kindheit alles Militärische hasst, findet er sich am Ende dennoch im Krieg wieder. Diese Geschichte ist autobiografisch und handelt von Artem Chekh, dem Ehemann der Regisseurin und Autor des Buches "Wo are you?" ("Хто ти такий?"), der durch die russische Invasion gezwungen wurde, erneut in den Krieg zu ziehen.

Es gibt weder Schwarz-Weiß-Menschen noch Schwarz-Weiß-Zeiten - das ist das Thema des Films. Tsilyk widersteht der Versuchung, eine weitere düstere Geschichte über die 90er Jahre zu erzählen.

Tsilyks Protagonisten im Krieg - Schriftsteller, Frauen, Kinder, Menschen, die keinen Grund haben, dort zu sein - betonen umso mehr die Pathologie und den Schrecken des Krieges.

 

ALISA KOVALENKO

Die renommierte Dokumentarfilmautorin Alisa Kovalenko dreht nicht nur Filme über den Krieg, sondern verteidigt auch die Ukraine als Mitglied der Streitkräfte.

"Ich habe jetzt nicht die Kraft, Dokumentarfilme so zu drehen, wie ich es früher getan habe", sagt Alisa Kovalenko.

Ihre erste Reise in den Krieg fand 2014 statt, als Alisa 26 Jahre alt war. Wie viele andere Regisseurinnen begann sie wichtige Ereignisse im Land zu filmen. Doch schon bald wurde die Distanz zwischen Kamera und Realität geringer, Leben und Tod wurden wichtiger als nur einen Film zu machen. In den nächsten zwei Jahren besuchte Alisa die Brennpunkte des Konflikts, von der Maidan Nezalezhnosti in Kyiv über die Checkpoints in Slovyansk bis zu den Ruinen des Donezker Flughafens. So entstand das Filmtagebuch "Alisa in Warland" ("Аліса україні війни"), in die historischen Ereignisse plötzlich in das Leben der Autorin und Heldin einbrachen. Der Film hatte seine Premiere beim International Documentary Film Festival Amsterdam (IDFA) im Jahr 2015 und wurde auf zahlreichen internationalen Festivals gezeigt.

Ein weiteres bemerkenswertes Werk von Alisa Kovalenko ist "Home Games" ("Домашні ігри"), der erste Film in der Geschichte des neuen ukrainischen Kinos, der auf Netflix veröffentlicht wurde.

Der Film "Home Games" erzählt die Geschichte von Alina Shilova, einer 20-jährigen Frau aus Kyjiw, die die Chance erhält, durch Fußball der Armut zu entkommen. Doch als ihre Mutter stirbt, hinterlässt sie zwei Kinder.

Die Filme von Alisa Kovalenko schaffen es, die Protagonisten und Protagonistinnen dem Publikum so nahe wie möglich zu bringen und dabei stets ehrliche und bewegende Geschichten zu erzählen.

 

NADIA PARFAN

Im Gegensatz dazu erzählt Nadia Parfan ihre Geschichten mit einer gewissen Ironie, selbst wenn es um den Chor der Gemeindemitarbeiter in Ivano-Frankivsk geht, in dem ihre Mutter singt.

Ein Dokumentarfilm wird oft als Reportage oder als etwas Lehrreiches mit ein paar Sprechern betrachtet. Doch wie kann man die Wahrheit erzählen, echte Menschen zeigen und gleichzeitig etwas Einzigartiges, Authentisches und Künstlerisches Schaffen?

Nadia Parfans erster Spielfilm "Heat Sings" ("Співає Івано-Франківськ тепло комуненерго") kann als Leitfaden dienen, wie man einen Film über eine Gemeinde nicht als Reportage, sondern als Spielfilm inszenieren kann. Und das ist keine Übertreibung. Denn von den einleitenden Titeln bis zum Abspann schafft die Regisseurin eine absolut stimmige, persönliche und fesselnde Geschichte, ein Juwel, das durch die Arbeit mit dem Klang entsteht. In diesem Film über den Chor von Frankivskteplokomunenergo gibt es viel Ironie, Musik und Wärme. Alle diese Hauptelemente sind sorgfältig durchdacht und von höchster Qualität umgesetzt. Der Film ist ein Drama, eine Komödie, ein Musical, das jedoch keineswegs die dokumentarische Erzählung vernachlässigt. Es gibt in diesem Film keine Lücken, Brüche oder Verfälschungen. Mit Hilfe von Humor, Gesang, Streitigkeiten und dem dramatischen Beginn der Heizsaison wird die Geschichte der Heizwerksmitarbeiter zu einer Geschichte von Würde und Menschlichkeit.

Das Gefühl, das der Film hinterlässt, erinnert an das Gefühl, wenn man an einem düsteren Herbstabend nach Hause kommt und feststellt, dass die Heizkörper endlich warm geworden sind. Doch dieser Film unterscheidet sich von der Hochfahrphase eines Heizkraftwerks dadurch, dass hier nichts repariert werden muss. Alles funktioniert.

 

NATALYA VOROZHBYT

Natalya Vorozhbyt ist eine bekannte Drehbuchautorin. Eine Inszenierung ihres Theaterstücks "Bad Roads" ("Погані дороги") wurde in Kyjiw aufgeführt. Allerdings entschied sich Natalya dafür, selbst Regie bei der Verfilmung zu führen. Somit markierte "Bad Roads" ihr Regiedebüt.

"Ich hatte nie zuvor die Gelegenheit, diese Geschichte von Anfang bis Ende selbst zu erzählen. Aber dieser Text hat mich in den letzten Jahren am meisten fasziniert. Es gab nichts, bei dem ich so sehr Regie führen wollte, von Anfang bis Ende", sagt Natalya Vorozhbyt.

Der Film feierte seine Premiere bei der Venice International Critics' Week des Venice Film Festivals, wo er ausgezeichnet wurde.

"Bad Roads" besteht aus fünf Geschichten über Soldaten und Zivilisten im Donbas. Es sind verschiedene Geschichten mit unterschiedlichen Charakteren, die in einer Atmosphäre totaler Feindschaft miteinander existieren. Abgesehen vom Krieg und den schlechten Straßen scheinen sie nichts Gemeinsames zu haben.

In erster Linie handelt es sich um eine Geschichte über zwischenmenschliche Beziehungen und die menschliche Transformation durch traumatische Ereignisse.

"Alles, was ich versucht habe, war, einen Film über Menschen, ihre Komplexität und die Komplexität ihrer Entscheidungen zu machen und dabei zu berücksichtigen, wo sie leben und vor welchem Hintergrund sie existieren. Mein Ziel war es, jeden von ihnen zu verstehen. Das ist es, was der Film sein wird", erklärt die Regisseurin.

 

EVA DZHYSHYASHVILI

Ein weiteres Spielfilmdebüt stammt von der Regisseurin Eva Dzhyshyashvili mit dem Film "Plai. A Mountain Path" ("Плай"), der beim Docudays UA Film Festival ausgezeichnet wurde.

"Plai. A Mountain Path" erzählt die Geschichte von Menschen, die unter dem Druck einer unsicheren Gegenwart mehr gerettet als verloren haben. Ihre Stärken und Schwächen manifestieren sich in der Liebe - Liebe zu ihrem Land, zu ihren Mitmenschen. Sie sind gehorsam und ungehorsam zugleich, so wie es die Berge sind.

Für einen Fremden mögen die Malkovichs in der Natur verloren erscheinen, wo seit jeher Harmonie und Liebe herrschen, von Generation zu Generation weitergegeben.

Die Dreharbeiten erstreckten sich über fünf Jahre. Die Charaktere wuchsen und veränderten sich unter den Augen der Filmcrew. Eine interessante Facette des Films ist, wie die Regisseurin das Gefühl des Krieges in Regionen erzeugt, in denen er nicht in akuter Phase ist, und wie sie die Essenz der Karpaten und ihrer Bewohner einfängt.

 

GANNA LAROSHEVYCH

Wir möchten diese bei weitem nicht vollständige Auswahl zeitgenössischer ukrainischer Regisseurinnen mit einem weiteren abendfüllenden Dokumentarfilm abschließen - "As far as possible" ("Май далеко - май добре") von Ganna Iaroshevych. Dieser Film, an dem die Regisseurin fünf Jahre lang gearbeitet hat, handelt von den seltenen Tieren der Karpaten - den Wasserbüffeln - und dem deutschen Aktivisten Michel Jacobi, der sich ihrer Zucht widmet.

"As far as possible" ist ein sehr warmherziger Film, der sich auf eine Einzelperson und ihre Träume konzentriert. Es ist ein außerordentlich schöner Film, der nicht nur eine interessante Geschichte erzählt, sondern auch vertraute Landschaften aus einer neuen Perspektive zeigt.

Im Wesentlichen bieten jede der genannten Regisseurinnen und jeder Film eine einzigartige Perspektive, einen individuellen Blickwinkel und eine originelle künstlerische Lösung. Die ukrainischen Regisseurinnen erzählen von wichtigen Themen: vom Krieg, von der Zukunft, von Identität.

Kateryna Slipchenko

Kateryna Slipchenko ist Journalistin und Filmkritikerin. Sie arbeitet als Redakteurin im Kulturressort des Internetportals ZAXID.NET. Kateryna ist Mitglied des Verbandes der Filmkritiker*innen der Ukraine, der internationalen Filmkritiker*innen- und Filmjournalist*innen- Vereinigung International Federation of Film Press (FIPRESCI) sowie der Ukrainischen Filmakademie.

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